INGEDE News Oktober 2020 –

Sonderausgabe Herbstsymposium

INGEDE-Herbstsymposium am 1. Oktober 2020
bei LEIPA in Schwedt

VERPACKUNGSDESIGN
IM FASERKREISLAUF

Verpackung schützt. Vor Berührung, vor Staub, vor Feuchtigkeit, vor Luft, vor Beschädigungen. Moderne Verpackungen sind Multitalente. Gerade aus Papier, gerade im Wettbewerb mit Kunststoff. Aber auch hier gilt: Die Verpackung ist ein Wertstoff, der hochwertig stofflich wiederverwertet werden soll. Der Zielkonflikt ist programmiert – Funktionalität und ansprechende Gestaltung einerseits und möglichst gute Rezyklierbarkeit andererseits. Dazu beizutragen, dass weiße Verpackungen im weißen Faserkreislauf verbleiben, ist ein Ziel, das sich die INGEDE auf die Fahnen geschrieben hat.

Wie lässt sich Verpackung optimal für ein hochwertiges Recycling gestalten? Tiefkühlpizza in einer runden Aufreiß­packung aus Papier, Bier in einer Flasche aus Faserstoff? Ist das die Zukunft der Verpa­ckung, faserbasierter Schutz für Lebens­mittel statt Plastik? Über Möglichkeiten, den in Ungnade gefallenen Kunststoff zu ersetzen, die Voraussetzungen für eine gute Rezyklierbarkeit und deren Grenzen diskutierten Experten aus Industrie, Behörden und Verbänden beim INGEDE-Herbstsymposium in Schwedt. Die Referenten waren sich weitgehend einig: Bei neuen papierbasierten Verpackungen gibt es Handlungsbedarf in Bezug auf die Rahmenbedingungen, die Verbraucher­information und Kennzeichnung, sowie bei der Weiterentwicklung der Sortiersysteme und Entsorgungswege. Man müsse weg von nationalen hin zu europäischen Lösungen bei der Bewertung von Verpackungen und deren Eignung für verschiedene Recyclingsysteme.

Zu viel potenziell verwertbares Papier im Restmüll

Papier, Pappe und Karton sind in Deutsch­land mit 89 Prozent stofflicher und mehr als zehn Prozent energetischer Verwertung auf Basis eines nachwachsen­den Rohstoffs Spitzenreiter in Bezug auf Nachhaltigkeit. Aber immer noch landet zu viel potenziell verwertbares Papier im Verpackungsabfall und im Restmüll, beklagte Robin Huesmann, CIO der gastgebenden LEIPA Unternehmens­gruppe. In Schwedt werden Papiere mit dem Blauen Engel und anderen Umweltzeichen aus 100 Prozent Altpapier produziert. Huesmann konstatierte fehlende Information der Verbraucher, aber auch oft noch den mangelnden Willen zur Trennung.Oft finden sich alte Zeitungen, Prospekte und Schachteln im Restmüll, obwohl direkt daneben die blaue Altpapiertonne steht.

Oft spiele auch die Unsicherheit eine Rolle: Was mache ich mit dem gewachsten Geschenk­papier, was mit der wasserabweisenden Tiefkühl­verpackung? Ist das Altpapier? Huesmann ist überzeugt, dass eine bessere Information der Verbraucher sowohl über die jeweiligen Produkte und Verpackungen als auch über die verfügbaren Tonnen auch zu besseren Ergebnissen bei Sammlung und Sortierung führen würde.

Die verschiedenen Verbunde erfordern neuartige Recyclinganlagen, die darauf abgestimmt sind, meint Huesmann. Mehr Nebenprodukte bei diesen Prozessen erforderten auch bessere Lösungen beim chemischen Recycling dieser Nebenprodukte.

Immer wieder landen Zeitungen, Prospekte und Verpackun­gen im Restmüll, selbst wenn direkt daneben die blaue Altpapiertonne steht

"Wir wollen in die Blaue Tonne"

Bernd Büsing, NestléAuch wenn Papier als Verpackungs­mittel derzeit gefragt ist – nicht immer reicht es als Barriere. „Der Teufel steckt hier im Detail“, sagte Bernd Büsing, Leiter des Bereichs Verpackungen bei Nestlé Deutschland. Nestlé hat für mehrere Produkte „High-Barrier-Papiere“ entwickelt, die bis zu zehn Prozent einer Polymerdispersion als Beschichtung enthalten. Ist das Papier, Composit, Verbund? Oder eine Grauzone? In Deutschland, in Frankreich? Büsing will solche Verpackungen nicht als „Plastic free“ gekennzeichnet sehen. Ziel sei aber: „Wir wollen in die Blaue Tonne.“ Deshalb begrüßte er den mit der INGEDE-Veranstaltung intensivierten Austausch zwischen Verpackern und der recycelnden Papier­industrie.

Bis 2025 sollen 100 Prozent der Verpa­ckungen von Nestlé wiederverwendbar oder rezyklierbar sein, bis dahin soll der Anteil an neuem Kunststoff bei Verpackun­gen um ein Drittel sinken. Dazu seien auch Verhaltensänderungen nötig – auch hierzu will Nestlé mit verstärkter Aufklärung über das Thema Verpackung beitragen. Eine Reihe von Produkten mit geringen Barriereanforderungen werde schon in funktio­nelle Papiere verpackt. So bestehe eine Kakaotüte zu 80 bis 90 Prozent aus Zellstoff, dazu jeweils bis zu zehn Prozent Beschichtungen aus Pigment mit Latex und aus einer Polymerdispersion.

"Überwachungs­funktion stärker wahrnehmen"

Zehn Prozent Polymere im Papier seien „aus unserer Sicht nicht vorteilhaft“, bestätigte Almut Reichart, als Umweltingenieurin beim Umweltbundesamt zuständig für die Zellstoff- und Papierindustrie. Verpackungen zu vermeiden stehe für die Behörde immer an oberster Stelle. Sie warnte vor einer undifferenzierten Abkehr aus dem Kunststoff: „Macht Papier noch Sinn, wenn Eigenschaften verlangt werden, die Papier nicht leisten kann?“ Vielleicht sei eine Folie doch das bessere Material, wenn diese dann sachgerecht entsorgt oder recycelt werde? Reichart sieht durchaus Anpassungsbedarf bei den Methoden und Maßstäben zur Bewertung der Rezyklierbarkeit. Nicht nur Hersteller und Verbände, auch die Behörden und insbesondere die Zentrale Stelle Ver­packungsregister müssten hier mitwirken, sagte Reichart. „Ich sehe, dass wir hier unsere Überwachungs­funktion stärker wahrnehmen müssen.“

Vermeiden, wiederverwenden, recyceln: Almut Reichart vom Umweltbundesamt (UBA) erklärt die Verpackungs­hierarchie

Hohe Faserqualität im Kreislauf erhalten

Die Position der Papierindustrie verdeutlichte Martin Drews vom Verband Deutscher Papierfabriken (VDP): Die Blaue Tonne habe sich bewährt und müsse nicht nur geschützt, sondern idealerweise in ganz Europa umgesetzt werden. Eine hohe Faserqualität im Kreislauf zu erhalten „muss unser Ziel sein“. Dabei könne nicht alles, was aus Papier ist, auch industriell rezykliert werden – es sei zu beachten, welche Farbe, welcher Lack oder welche Beschichtungen damit verbunden seien.

Klebstoffe müssen leicht entfernbar sein, „weiche“ Klebstoffe wie bei manchen Klebstreifen und Etiketten lassen sich beim Recycling kaum entfernen. Auch Barrieren müssten idealerweise leicht von den Fasern zu trennen sein, entweder maschinell oder schon per Hand vom Verbraucher. Er lenkte das Augenmerk auch auf die Gelbe Tonne: Diese müsse der Weg sein für neue Ver­packungsarten, die nicht im Hauptstrom des Altpapiers verwertet werden könnten.

„Die systematische Differenzierung im Einzelfall und ein gemeinsames Verständnis in der Wertschöpfungskette Papierverpackungen ist die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre.“ Hierfür müsse man sich auch neue Verwertungs­wege überlegen. Er warnte vor dem Vor­preschen einzelner Verpackungs­hersteller mit neuen Systemen, bevor deren Verwertung geklärt sei: „Das erzeugt Verwirrung beim Verbraucher und behindert die Akzeptanz.“

„Die systematische Differenzierung im Einzelfall und ein gemeinsames Verständnis in der Wert­schöpfungs­kette Papierverpackungen ist die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre.“

Bewertung der Rezyklierbarkeit:
Vorzeigbare Methode bis November

Die Vielzahl neuer Entwicklungen, bei denen es schwierig sei, den Über­blick zu behalten, beklagte auch Prof. Samuel Schabel vom Institut für Papierfabrikation der TU Darmstadt. Gemeinsam mit weiteren Partnern, darunter der Papiertechnischen Stiftung (PTS), sucht man in Darmstadt nach einer einheitlichen Bewertungsmethode für die Rezyklierbarkeit von Verpackungen.

„Mittelfristig wird man noch einen weiteren technischen Schritt in der Aufbereitung brauchen“, befürchtete Schabel angesichts der Vielfalt der Barriereren. Bis November, so Tiemo Arndt von der PTS, wolle man im Rahmen des INFOR-214-Projekts „eine vorzeigbare harmonische Methode“ als Diskussions­grundlage vorstellen. Er koordiniert ein Projekt der CEPI mit dem Ziel, aus den derzeit verfügbaren Beschreibun­gen von Aticelca über EcoPaperLoop bis PTS eine sinn­volle Ausstattung und Probenbeschreibung zu destillieren.

Wie wird lokal gesammelt, recycelt, verwertet?

Peter Désilets Foto: www.verenagremmer.comAuf die derzeit großen Unterschiede bei der Erfassung von Verpackungen schon in Europa wies auch Peter Désilets von Pacoon hin. Seine Münchner Agentur beschäftigt sich mit der Entwicklung nachhaltiger Verpackungen und Verpackungsstrategien. Je nach Markt und Region müsse man bei der Bewertung berücksichtigen, ob und wie vor Ort tatsächlich recycelt, gesammelt, kompostiert oder anders verwertet werde. Dies gelte gerade angesichts der derzeitigen Fokussierung auf Kohlendioxid: „Würde der Fisch oder Vogel im Meer, der Plastik verschluckt hat, mit einem besseren Gewissen verenden, wenn er wüsste, dass das Plastikteil einen besseren CO2-Wert hatte als eine Faserpackung, die sich im Wasser aufgelöst oder an Land abgebaut hat?“

Auch die Hersteller von Faserverpa­ckungen und die Recycler seien gefragt, die Recyclingstandards international auf einem höheren Niveau zu etablieren. Es gebe durchaus Möglichkeiten, intelligente Kombinationen von Kunststoff und Fasern zu verwenden, die sich bei der Verwertung leicht wieder trennen ließen wie jetzt schon manche Joghurtbecher.

Zum Thema Verpackungen und Recycling:

Die große Verpackungslüge im Kühlregal  
(WELT 3. September 2020)

How far can paper replace plastics?
(Packaging Europe 21. September 2020)

 

Weiße Verpackung als neue Papierfraktion?

Ist es möglich, aus bei den Haushalten gesammelten Leichtverpackungen oder sogar aus dem Hausmüll weiße Fasern zurückzugewinnen? Kann man so eine eigene Altpapiersorte “Weiße Verpackung” generieren? Mit dieser Frage setzte sich Tobias Zirsch vom Sortieranlagenhersteller REDWAVE aus Gleisdorf in Österreich auseinander.

In einem zuvor aufgezeichneten Beitrag erklärte Zirsch den möglichen Aufbau einer solchen Anlage. Wichtig sei es, von Anfang an so viel wie möglich über die Zusam­mensetzung der zu sortierenden Fraktion zu wissen. Die Sortierung könne auch in mehreren Schritten erfolgen – zunächst müssten die Kunststoffe abgetrennt werden, dann allgemein faserbasierte Materialien. Danach könnten – beispielsweise in einer Sortieranlage – erst die für ein Deinking geeigneten Papiere, dann die restlichen weißen Fasern von der übrigen Verpackung getrennt werden.

Papier aus Altpapier – mit Biomüll und DVD-Staub? Jeder Tag eine neue Herausforderung

Waffen, Biomüll, Kartoffelsäcke und Autoreifen – es gibt praktisch nichts, was nicht schon auf den Förderbändern der Sortieranlage gelandet wäre. Abgesehen von den Problemen mit Klebstoffen oder schlecht deinkbaren Druckfarben findet auch vieles den Weg ins Altpapier, was dort nichts zu suchen hat. Altpapier ist jeden Tag ein wenig anders. Insgesamt wird das Altpapier immer dunkler, stellte Sandro Taske, Leiter des Bereichs Halbstoffe bei Leipa in Schwedt, fest. Damit steige auch der Aufwand der Aufwand für Chemikalien, insbesondere Bleichmittel.

Insbesondere die Zunahme an Digitaldrucken mit proble­matischer Deinkbarkeit bereitet dem Ingenieur Sorgen. Hier müsse die hochwertige Rezyklierbarkeit schon beim Design eines Druckproduktes beachtet werden. Auch folien­beschichtete Papiere könnten zu Störungen in der Anlage führen. „Berlin ist unser Wald“, sagt Taske, und listet gleichzeitig auf, was dieser Wald alles an Müll für das Papierrecycling bereithält, von Pflastersteinen über Munition bis zu medizinischen Abfällen. Allerdings gibt es auch schwarze Schafe unter den Entsorgern, die mit viel Fantasie das Altpapier anreichern. Mancher Ballen tropft auch bei schönem Wetter, und aus Staub vom DVD-Schredder oder Metallspänen aus Fußball-Sammelbildchen resultieren nachhaltige Beeinträchtigungen der Qualität des fertigen Papiers, die bis zu Störungen beim Druckprozess führen können.

Säckeweise Kartoffeln im Altpapier? Das hat hier genauso wenig zu suchen wie Biomüll (oben) oder Reste von DVDs und medizinische Abfälle (unten).

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